Freitag, 8. September 2017

"Das ist doch kein Abgas-Skandal"

Luftverschmutzung Die Überschreitung von Emissionsgrenzwerten durch die Autoindustrie ist Folge der politischen Reaktion auf die Krise von 2007, sagt der Umwelt-Experte Hans-Jochen Luhmann


der Freitag: Herr Luhmann, wenn es um den Diesel-Skandal geht...
Hans-Jochen Luhmann:
Entschuldigung, ich muss Sie da gleich in der Diagnose korrigieren. Es geht hier um ein Versagen, wovon der so genannte Diesel-Skandal ein Symptom ist. Es handelt sich um ein systematisches Versagen der Kraftfahrtbundesämter in Europa. Die setzen die Vorgaben des EU-Gesetzgebers nicht um. Und das lassen die Mitgliedstaaten zu. Ungeprüft sind somit sämtliche behauptete Fahrzeugeigenschaften, nicht nur das Detail „Diesel-Abgase“. Bei der Wortwahl „Diesel-Skandal“ handelt es sich also, um den Titel von Elisabeth Wehlings wunderbarem Buch zu variieren, um ein „einer Nation eingeredetes Denken – um daraus Partial-Politik zu machen“. Intention der Wortschöpfung ist das Setzen eines engen Fokus, um anderes aus dem Zielfernrohr zu nehmen. Wird ernstlich hingeschaut, so vermag eine ganze Kette von Umgehungen zum Vorschein zu kommen. Was bei den Stickoxid-Werten von Diesel-Fahrzeugen auffiel, das progressive Auseinanderdriften von Soll- und Ist-Werten, von 30 Prozent bei Euro 2 auf 700 Prozent bei Euro 6, zeichnet sich auch ab bei den Angaben zum CO2-Ausstoß, auch bei Benzinern. Selbst bei den Lärmemissionen schummeln die Autohersteller. Wir sind nicht am Ende, wir sind immer noch am Anfang.

Politiker wie Verkehrsminister Alexander Dobrindt und Umweltministerin Barbara Hendricks geben sich bis heute überrascht und verwundert. Waren Sie auch verwundert? Ja, ein solches Ausmaß von Rechtslosigkeit innerhalb der EU hatte ich mir nicht träumen lassen. Verwundert bin ich heute über die gelassenen Reaktionen darauf; und über den Umgang der Medien, die sich lediglich an unwesentlichen Details der Unternehmen festbeißen, das Staatsversagen hingegen beinahe unthematisiert lassen. Frau Hendricks ist eine kluge Frau. Also wird sie vermutlich bei Amtsübernahme nach den Leichen im Keller ihres Hauses gefragt haben. Die hier thematisierte Leiche wurde unter Federführung des BMU in den Jahren 2007 bis 2009 in den Keller gelegt. Zumindest ihr Vor-Vorgänger, Sigmar Gabriel, kann kaum verwundert gewesen sein.

Um welche Leichen handelt es sich? Im Nachgang zur Finanzkrise 2007 und der ihr folgenden Rezession haben die politisch Verantwortlichen, so das Ergebnis des Untersuchungsausschusses im EU-Parlament, entschieden, die offenkundigen Überschreitungen bei Stickstoffoxiden zu dulden, um die gebeutelte Autoindustrie zu schonen. Konsequenterweise wurde damit eine seit Jahrzehnten verfolgte transatlantische Nachhaltigkeitsstrategie, die zum Abbau der Luftverschmutzung, bewusst an die Wand gefahren. Damals müssen in Berlin der Verkehrs- und der Landwirtschaftsminister zum Umweltminister gegangen sein und um eine rechtliche ‚Lösung’ gebeten haben. Die hatte dann die Form ‚Löcher bohren in die Deckelung’. Nicht sonderlich fantasiereich, diese Form der Leichenproduktion.

Es gibt eine transatlantische Nachhaltigkeitsstrategie, die Jahrzehnte alt ist? Ja, klar, und zwar in Form mehrerer multilateraler Abkommen, die die Qualität unserer Luft verbessern sollten. Das Ganze geht zurück auf den öffentlichen Erregungsvorgang in den 1970er und 80er Jahren, der unter dem Schlagwort Waldsterben steht.

mehr:
- "Das ist doch kein Abgas-Skandal" (Sebastian Puschner, der Freitag, in der vergangenen Woche)

Vortrag 3 - (Hans-Jochen Luhmann) "Regionale ökonomische Chancen" {2:02}

Veröffentlicht am 12.12.2016
Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten
Vortrag von Herrn Hans-Jochen Luhmann im Rahmen der Veranstaltung "Landschaft des Wissens 2016 - Wage zu denken!" - "Die Zukunftsfähigkeit von Regionen"

Podiumsdiskussion 2 - "Klimaschutzpolitik und regionale, ökonomische Chancen" {5:38}

Veröffentlicht am 05.12.2016
Universitäts.club|Wissenschaftsverein Kärnten
Podiumsdiskussion (Mittwoch) im Rahmen der Veranstaltung "Landschaft des Wissens 2016" zum Thema "Klimaschutzpolitik und regionale, ökonomische Chancen" - (Peter Heintel, Hans-Jochen Luhmann, Peter Rupitsch, Klaus Wiegandt, Helmut Zwander)

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