Samstag, 26. September 2015

Heute vor 32 Jahren – 26. September 1983: Stanislaw Petrow verhindert den 3. Weltkrieg

1983 stand die Welt kurz vor dem Ausbruch des Dritten Weltkriegs 

Telepolis veröffentlicht einen Auszug aus dem Buch "Stanislaw Petrow: Der Mann, der den dritten Weltkrieg verhinderte" von Ingeborg Jacobs (Westend Verlag). Die Autorin und Filmemacherin schildert darin eine der dramatischsten Situationen des Kalten Kriegs und fragt: Wer war dieser Mann, der die Welt rettete? In welchem historischen Kontext geschah dies? Was bedeutet das für heute, was können wir daraus lernen? Und wer rettet uns das nächste Mal, denn ein neuer Kalter Krieg ist nicht ausgeschlossen?

Als es um null Uhr fünfzehn plötzlich ernst wurde, befand sich Stanislaw Petrow in dem riesigen Kontrollraum, der sich in einem Bunker befand und das Herz des Kommandozentrums ausmachte, an seinem Pult. Es stand in einer Ecke, davor eine schräg gestellte Glasscheibe, die bis zur Decke reichte. Etwas tiefer verschiedene Pulte, an denen die einlaufenden Informationen verarbeitet wurden. Eine senkrechte Tafel zeigte den Zustand der sowjetischen Frühwarnsatelliten an. Dann gab es noch ein paar Karten: eine für die operative Aufklärung, deren Zentrum der Nordpol war. Symmetrisch dazu lagen die Vereinigten Staaten und die UdSSR. Eine weitere Karte mit den Meridianen und Breitenkreisen. Außerdem eine Karte der USA, auf der kleine Fenster anzeigten, wo sich welcher Raketenstützpunkt befindet.

"Wir wussten damals, die USA hatten genau tausend Raketen, die sich auf sechs Raketenbasen befanden, die wir als kleine Fenster markiert hatten", erklärt Petrow. "Genau tausend Interkontinentalraketen vom Typ Minuteman hatten sie und noch ein paar Titanraketen. Einige waren allerdings nicht einsatzbereit."

Wo sich die sowjetischen Atomraketensilos befanden, wusste Stanislaw Petrow hingegen nicht. Er war bestens über die Stationierungsorte des Gegners informiert, behauptet aber, keine Daten zu den Abschusspositionen der eigenen Raketen gehabt zu haben. Eine wenig glaubwürdige Aussage, da sich die Silos der für die Verteidigung Moskaus vorgesehenen S-25-Berkut-Raketen quasi neben dem Gelände des Frühwarnsystems Serpuchow-15 befanden.

"Zu viel über die eigenen Waffen zu wissen war in der Sowjetunion nicht üblich", erklärt Stanislaw Petrow. "Bei uns reichte es stets aus, das zu wissen, was für die eigene Arbeit wichtig war. Es gab nur eins, was jeder wissen musste: dass er sich nur um das zu kümmern hatte, was ihn persönlich anging. Ich habe das auch immer so gehalten, denn ich musste ziemlich viel im Kopf haben, Zahlen und Fakten für die Analyse unseres Systems. Ich wusste das auswendig, damit ich bei der Arbeit keine Dokumente zu Rate ziehen musste. Wir standen ja immer unter Zeitdruck, wenn es darum ging, die Meldungen des Systems zu beurteilen. Deshalb habe ich auch jede überflüssige Information gleich wieder vergessen."

Die wichtigsten Informationen über die sowjetischen Raketen hatte Petrow aus Büchern und aus Zeitschriften. Außerdem hatte er an den verschiedenen Orten, an denen er stationiert war, auf den Testgeländen oft miterlebt, wie die sowjetischen Raketen starteten. Die Männer, die im Kontrollzentrum arbeiteten, hatten in den vergangenen Jahren unzählige Trainingseinheiten hinter sich gebracht. Theoretisch wussten sie, wie es sein würde, wenn es einen echten Alarm geben würde. Wenn eintreten würde, womit sie stets rechneten, worauf die politische Führung des Landes wartete, wovor die Zeitungen so oft warnten: ein Atomraketenangriff von US-amerikanischer Seite auf ihre Heimat, die Sowjetunion. Die Männer kannten alle Abläufe, hatten sie so lange geübt, bis sie sie automatisiert und verinnerlicht hatten.

Doch dann trat dieses Ereignis, auf das Stanislaw und seine Männer immer gewartet hatten, vollkommen überraschend ein. Alles war ruhig und friedlich. Und plötzlich heulte schrill die Sirene auf. Auf der Tafel vor den Männern leuchtete in roten Buchstaben das Wort "Start". Ein Raketenstart von einer amerikanischen Abschussbasis war erfolgt.

mehr:
"Um Haaresbreite" (Markus Kompa, Telepolis, 10.11.2015)

siehe auch:
Stanislaw Petrow – der Mann, der den Atomkrieg verhinderte (Ingeburg Jacobs, Telepolis, 02.11.2015)
Weiterer Fall eines Beinahe-Atomkriegs aus Versehen während der Kubakrise (Markus Kompa, Telepolis, 29.10.2015)
- Geheimdokumente zu Nato-Manöver: So nah kam die Welt 1983 einem Atomkrieg (SPON, 03.11.2013)
- Stanislaw Petrow und das Geheimnis des roten Knopfs (Markus Kompa, Telepolis, 20.06.2009)
- Am Rande des Atomkriegs (Ralf Geißler, Deutschlandfunk, 26.09.2008)

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Am 26. September 1983 war Oberstleutnant Stanislaw Petrow diensthabender Offizier im Serpuchow-15-Bunker (ungefähr 50 Kilometer südlich von Moskau). Seine Aufgabe bestand in der computer- und satellitengestützten Überwachung des Luftraumes. Im Fall eines nuklearen Angriffes auf die UdSSR sah die Strategie einen mit allen Mitteln geführten sofortigen nuklearen Gegenschlag vor.
Kurz nach Mitternacht meldete der Computer eine auf die Sowjetunion anfliegende US-amerikanische Atomrakete. Petrow schlussfolgerte die Unwahrscheinlichkeit eines mit einer einzelnen Rakete durchgeführten Erstschlages, da der massive Gegenschlag die totale Auslöschung des Aggressors bedeuten würde. Zusätzlich war die Verlässlichkeit des Satellitensystems (Kosmos 1382)[1] zuvor mehrfach in Frage gestellt worden. Auf Satellitenaufnahmen der US-Militärbasis konnte Petrow keine Rakete erkennen. Da die Basis jedoch zu dem Zeitpunkt genau auf der Tag-Nacht-Grenze lag, hatten die Bilder nur eingeschränkte Aussagekraft. Petrow meldete der Militärführung einen Fehlalarm.[3] Kurze Zeit später meldete das Computersystem eine zweite, dritte, vierte und fünfte abgefeuerte Rakete. Da das Satellitensystem letztlich keine weiteren Raketen meldete, ging Petrow bei seiner Einschätzung weiterhin von einem Fehlalarm aus, da ein tatsächlicher Atomschlag seiner Ansicht nach mit deutlich mehr Waffen hätte stattfinden müssen. Dabei standen ihm keine anderen Daten zur Verfügung, um seine Einstufung im maßgeblichen Zeitraum überprüfen zu können. Das landgestützte sowjetische Radar konnte keine zusätzlichen Daten liefern, da dessen Reichweite dafür zu kurz war.
Petrow stand während dieser Entscheidungsphase unter erheblichem Druck: Einerseits würde eine Weiterleitung von fehlerhaften Satellitendaten (Fehlwarnung) zu einem sowjetischen Atomschlag führen. Andererseits würden im Falle eines tatsächlichen US-amerikanischen Angriffs umgehend dutzende nukleare Sprengköpfe auf sowjetisches Territorium niedergehen und seine Einstufung der Satellitenwarnung als Falschmeldung eine gravierende Einschränkung der sowjetischen Handlungsoptionen bedeuten. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Sowjetunion damals eine dezentral organisierte Zweitschlagfähigkeit als Gegenmaßnahme gegen Enthauptungsstrategien erst teilweise aufgebaut hatte.
Am Morgen stellte sich heraus, dass Petrows Einschätzungen richtig waren – das satellitengestützte sowjetische Frühwarnsystem hatte Sonnenreflexionen auf Wolken in der Nähe der Malmstrom Air Force Base in Montana, wo auch US-amerikanische Interkontinentalraketenstationiert waren, als Raketenstarts fehlinterpretiert.
Auch wenn den Befehl zum Gegenschlag letztlich noch das sowjetische Oberkommando und die Staatsführung hätten geben müssen, hatte Petrow durch sein Verhalten die hierarchische Kettenreaktion bis zu einem möglichen Nuklearkrieg rechtzeitig unterbrochen. [Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow, Der Vorfall, Wikipedia]

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siehe folgendes Video ab 6:00 
ZDF-Dokumentation Deutsch Die heißesten Momente des kalten Krieges Teil 3 [14:19]

Veröffentlicht am 27.03.2013
Erst Tage später stellte sich heraus, dass die Software des Spionagesatelliten fehlerhaft funktioniert hatte. Reflektionen von Sonnenstrahlen hatte das System fälschlicherweise als Startblitze von Raketen interpretiert. Von seinen Vorgesetzen wurde Petrow getadelt, weil er die vorgegeben Befehlsketten unterbrochen hatte. Doch tatsächlich verhinderte seine Courage wohl eine unkontrollierbare Eskalation des Kalten Krieges. "Für uns ist er ein Held", erklärt CIA-Chefhistoriker Benjamin Fisher gegenüber dem ZDF. Stanislaw Petrow lebt heute in Moskau und bezieht eine bescheidene Rente.

Der Mann, der die Welt rettete (The Man Who Saved the World) [1:45:19]

Veröffentlicht am 25.12.2015
Regie: Peter Anthony

Mit: Stanislaw Petrow. Kevin Costner, Robert De Niro, Matt Damon
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