Montag, 11. Mai 2015

Faschismus im Frankreich der Zwischenkriegszeit

1934 drohte Frankreich ein Putsch von rechts. Gleich mehrere faschistische Gruppen bekämpften die Demokratie. Durchsetzen aber konnten sie sich nicht.

"Nieder mit den Dieben!", skandieren die 300.000 Demonstranten, die am 6. Februar 1934 auf das Palais Bourbon, den Sitz der französischen Nationalversammlung im Zentrum von Paris, zumarschieren. Dort stellt an diesem Tag die linksliberale Regierung von Édouard Daladier die Vertrauensfrage. Die aufgebrachte Menge will Daladier aus dem Amt jagen. Gleich mehrere Korruptionsaffären haben das Land in den Monaten zuvor erschüttert. Nun bricht sich der aufgestaute Unmut über Bestechung und andere Skandale Bahn. 
Unruhen vor dem Parlament der 3. Republik, 6.02.1934 [Quelle: ZEIT]
Viele aber, die an diesem 6. Februar vor dem Parlament aufmarschieren, wollen mehr als nur eine korrupte Regierung absetzen: Sie wollen gleich die ganze Republik beseitigen. Unten ihnen befinden sich viele ehemalige Frontkämpfer und Mitglieder rechtsextremistischer Ligen. Polizisten und Soldaten stehen bereit, um die Dritte Republik notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Sicherheitskräfte postieren sich an den Boulevards der Hauptstadt, auf den Seine-Brücken und vor dem Palais Bourbon; die Straßen werden abgesperrt. Am Nachmittag schließlich kommt es vor der Oper zu ersten Scharmützeln zwischen Demonstranten und der Polizei. Als die Marschkolonne der Regierungsgegner dann die Place de la Concorde erreicht, beginnt eine Straßenschlacht. Die Lage eskaliert weiter, als die Dunkelheit einbricht. Gegen Mitternacht treffen die Anhänger der militanten rechten Verbände auf die Ordnungskräfte. Steine fliegen, Schüsse fallen. An vorderster Front: die rechtsextremistische Liga Croix-de-feu, die "Feuerkreuzler", unter der Führung von Colonel François de La Rocque (1885–1946). Doch obwohl die Demonstranten die Stärke hätten, um in das Parlament einzudringen, kann sich La Rocque nicht zum Staatsstreich durchringen. Den unterschiedlichen rechtsradikalen Gruppen gelingt es nicht, sich zusammenzutun. Auch die Rivalität zwischen ihren Führern verhindert ein konzertiertes Vorgehen..
mehr:
- Französischer Faschismus – Die Republik widersteht (Ulrich Pfeil, ZEIT, 17.10.2013)
Zitat:
Was die radikalen Nationalisten in Frankreich einte, war ihre Abscheu gegen die "korrumpierten politischen Parteien", die ihrer Meinung nach nicht ausreichend für die nationalen Belange Frankreichs kämpften. Im Gegensatz dazu traten sie betont unpolitisch auf und gaben vor, die Interessen der "guten Franzosen" zu vertreten und das "bedrohte Vaterland" zu retten. Sie diffamierten Juden und "Ausländer", die sie aus der nationalen Gemeinschaft ausschließen wollten. Sie sehnten sich nach einem starken Mann an der Spitze des Staates und wollten die Klassengegensätze überwinden.
[…]
La Rocques Partei griff dabei Themen wie Arbeit, Familie und Vaterland auf, die zuvor von den Konservativen besetzt waren. Und wie die Konservativen forderte auch er eine Stärkung der Exekutive, predigte den Nationalismus der Schützengräben und vertrat traditionelle Werte. Er akzeptierte die Spielregeln des Parteiensystems und gab sich legalistisch, was ihm einige partielle Wahlerfolge einbrachte. Nachdem Marschall Philippe Pétain 1940 die Macht übernommen hatte, schloss sich La Roque dessen Kollaborationsregierung an. Doch nicht alle Parteimitglieder folgten ihm. Nicht wenige lehnten es ab, mit der neuen Regierung in Vichy zu kooperieren. Aus patriotischen Gründen schlossen sie sich dem Widerstand an.

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Parteien, die überwiegend als „faschistisch“ eingestuft werden, aber kein eigenes Regime aufbauen konnten 
FrankreichAction française
Parti Populaire Français
Rassemblement national populaire
Gründung
1898
1936
1941
[Überblick über faschistische Bewegungen in Europa, Faschismus, Wikipedia, abgerufen am 11.05.2015]

siehe auch:
- Faschismustheorie (Wikipedia)

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Die Wurzeln des französischen Faschismus liegen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Einer seiner Vordenker war Charles Maurras (1868–1952), einer der einflussreichsten französischen Publizisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Maurras glaubte, dass in der französischen Gesellschaft Dekadenz und Korruption herrschten. Schuld daran seien die Französische Revolution und die Demokratie, welche die Einheit der Nation zerstört hätten. Maurras schloss sich der extremistischen Action française (AF) an. Die AF hatte sich 1898 infolge der Affäre um den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus gegründet (Dreyfus war, auf Grundlage unhaltbarer Anschuldigungen, Landesverrat vorgeworfen worden. In einem skandalösen Verfahren wurde er dennoch verurteilt, was heftige Proteste auslöste – in antisemitischen Kreisen aber auf große Zustimmung stieß.) Bald gehörte Maurras zu den führenden AF-Mitgliedern.
Von Beginn an trat die Action française monarchistisch, nationalistisch, antisemitisch und antiparlamentarisch auf. Und sie schreckte auch vor Gewalt nicht zurück. Als Papst Pius XI. dies 1926 verurteilte, verlor sie ihre Unterstützer im Klerus und im konservativ-katholischen Milieu. Die jüngere Generation wandte sich unterdessen dem vor Dynamik strotzenden italienischen Faschismus zu. Die AF erschien ihr dagegen viel zu traditionell und elitär. Alle maßgeblichen Führer der sich in den dreißiger Jahren herausbildenden faschistischen Gruppen aber waren in der Action française gewesen: Sie hatte den Grundstein gelegt für den französischen Faschismus. Aus dem nationalistischen Milieu der AF kam auch Georges Valois (1878–1945), der seinen politischen Werdegang auf der linken Seite des politischen Spektrums begonnen hatte. 1906 jedoch wechselte er zur AF, 1921 bekannte er sich zum Faschismus, brach vier Jahre später mit Charles Maurras und gründete einen eigenen Kampfbund, den Faisceau, der sich am italienischen Vorbild, an Mussolini, orientierte. Valois wollte den Nationalismus mit dem Syndikalismus, der aus dem Gewerkschaftssozialismus hervorgegangen war, versöhnen. Als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs sehnte er sich nach der angeblichen Gleichheit in den Schützengräben zurück und strebte eine autoritäre Staatsordnung mit einem starken Mann an der Spitze an. Doch bereits 1928 zerbrach der Faisceau: Valois und seine Weggefährten hatten sich über ihre Ziele zerstritten. (Zitat aus dem Artikel von Ulrich Pfeil, s.o.)
über den Antisemitismus in Frankreich siehe:
- Antisemitismus (bis 1945), Frankreich (Wikipedia) 

Volker Pispers - Der faschistische Franzose {10:06}

Hochgeladen am 01.01.2012

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Antisemitismus war eng mit dem Aufkommen des Nationalismus verbunden, blieb jedoch nicht auf diesen beschränkt. Der israelische Historiker Edmund Silberner weist 1962 auf „eine lange antisemitische Tradition im modernen Sozialismus“ hin, die über die Feindbilder der Frühsozialisten bis zu rassenantisemitischen Vorstellungen französischer Sozialisten um die Jahrhundertwende nachweisbar sei.[42] Schon im Deismus, dann auch bei manchen JunghegelianernReligionskritikern und Frühsozialisten findet man Aussagen gegen das überkommene Christentum und das Judentum zugleich, die auf die Auflösung beider zielten. Ludwig Feuerbach ordnete den jüdischen Glauben moralisch noch unter dem Polytheismus stehend ein und setzte ihn mit Egoismus gleich: „Ihr Prinzip, ihr Gott ist das praktischste Prinzip der Welt – der Egoismus, und zwar der Egoismus in der Form der Religion.“[43]
Einige Frühsozialisten setzten Juden und Kapitalisten gleich.[44] Pierre Leroux etwa bezeichnete die Juden als „Verkörperung des Mammons“. Der Journalist und Publizist Eduard Müller-Tellering (1811–nach 1851), der auch für Karl Marx’ Neue Rheinische Zeitung schrieb, behauptete, „das Judentum“ sei „noch zehnmal niederträchtiger als das westeuropäische Bourgeoistum“ und „nicht die Könige, nicht die Soldaten, nicht die Beamten“ seien die „wahren Quäler, denn sie sind bloß Werkzeuge unserer Quäler, der Juden.“[45] 1844 setzte auch Marx selbst in seinem Aufsatz Zur Judenfrage Kapitalismus mit Geldherrschaft und diese mit dem Judentum in eins. Der „Schacher“ erschien ihm als „der weltliche Kultus des Juden“ und als das „Wesen des Judentums“.[46]
Der Anarchist Pierre-Joseph Proudhon schrieb: „Der Jude besitzt ein gegen die Produktion eingestelltes Temperament; er ist weder Ackerbauer noch Gewerbetreibender, nicht einmal wirklicher Kaufmann. Er ist stets betrügerischer und parasitärer Vermittler […]. Seine Politik in der Wirtschaft ist völlig negativ; er ist das böse Prinzip, nämlich Satan und Ahriman, der in der Rasse Sems Gestalt angenommen hat.“ Juden sah Proudhon als „Feinde der Menschheit. Man muss sie nach Asien zurückschicken.“ [47] Der Anarchist Michail Alexandrowitsch Bakunin schrieb in Persönliche Beziehungen zu Marx 1871:
„Nun diese ganze jüdische Welt, die eine ausbeuterische Sekte, ein Blutegelvolk, einen einzigen fressenden Parasiten bildet, eng und intim nicht nur über die Staatsgrenzen hin, sondern auch für alle Verschiedenheiten der politischen Meinungen hinweg, – diese jüdische Welt steht heute zum großen Teil einerseits Marx, andererseits Rothschild zur Verfügung.“– Michail BakuninPersönliche Beziehungen zu Marx[48]
[Antisemitismus (bis 1945), Frühsozialismus und Anarchismus, Wikipedia, abgerufen am 17.03.2018] 

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siehe auch:
- ANTISEMITISMUS: Warum begann der Holocaust nicht in Frankreich? (Sven Felix Kellerhoff, Welt, 02.03.2017)
- Judenverfolgung: Europäischer Antisemitismus 1880 - 1945 (Michael Kuhlmann, Deutschlandfunk, 27.02.2017)
- Zur Entstehung des Antisemitismus im Europa des 19. Jahrhunderts, seinen Ursachen und Erscheinungsformen (Ulrich Wyrwa, Nineteenth-Century Anti-Semitism in International Perspective – Symposium at the German Historical Institute Paris, 29.11.2016) – darin zitiert:
„Es hilft nur emphatische Aufklärung.“
[Theodor W. Adorno, Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute (1962), in: Ders., Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, Frankfurt/M. 1971, S. 114.]
- Ost- und südosteuropäische Juden im 19. und 20. Jahrhundert (Predrag Bukowec, Europische Geschichte online, 13.07.2011)
- Antisemitismus und Antisemitismusforschung (Wolfgang Benz, Docupedia-Zeitgeschichte , 11.02.2010)
- Antifa schützt vor Antisemitismus nicht (Anna Lukowá, AKuBiZ e.V., 2007?)
- Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert (Wolfgang Benz, Bundeszentrale für politische Bildung, 27.11.2006)
- "Hilflose Aufklärung"?: Der Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts (Wolfgang Geiger, Kommune, Forum für Politik-Ökonomie-Kultur 6/2004)
Antisemitismus (Europäische Geschichte, Markus Jud auf seiner Seite, ©2003)
- Judenemanzipation und Antisemitismus im 19. Jahrhundert (Tobias Jaecker auf seiner Seite, März 2002)
- Frankreich: Die andere Geschichte der 30er Jahre (Frank Renken, Sozialismus von unten, Online-Ausgabe Winter 2001)
- Zur Beurteilung der Volksfront in Frankreich (1934-1938) (Rudolf von Albertini, Heftearchiv des Instituts für Zeitgeschichte, 1959, PDF)

siehe auch:
Heinrich Brüning, Reichskanzler in Krisenzeiten (Wikipedia, abgerufen am 14.05.2017)

Die psychoanalytische Literatur führt Faschismus-Anfälligkeit auf in der Kindheit erlebte Gewalt zurück:
- Autoritärer Charakter (Wikipedia)

Dagmar Herzog: Cold War Freud.Psychoanalysis in an Age of Catastrophes (Buchrezension, Yves Hänggi, Anna Leyrer, theoriekritik.ch, 09.02.2018)
- Zur Analyse von Faschisierungsprozessen (Klaus Weber, theoriekritik.ch, 02.08.2016)
- „Nie wieder Faschismus!?“ – Zur Psychologie des Autoritarismus (Christopher Cors, Jost Stellmacher, The Inquisitive Mind 1-2014)
- Zerstörung der Demokratie 1930-1933 (Reinhard Sturm, Informationen zur Politischen Bildung, 23.12.2011)
- „Die Sonne stand still...“ – Band 3 – Paranoide Phantasmen des Faschismus (Esther Schulz-Goldstein auf ihrer Seite ©2013, PDF)
- Zum psychoanalytischen Verständnis von Faschismus und Antisemitismus (Roland Kaufhold, Hagalil, 09.12.2008)

- Die Furcht vor der Freiheit (Wikipedia)
- Der autoritäre Charakter im gesellschaftlichen Kontext (Andreas Exner, social-innovation.org, 18.04.2017, PDF)
- Der Hass auf das Lebendige. Anmerkungen zur Sozialpsychologie des Faschismus – einst und jetzt (Götz Eisenberg, theoriekritik.ch, 26.12.2016)
- Aus der Geschichte lernen – Zum Konzept des »Autoritären Charakters« ( Hajo Jakobs, Ringvorlesung FH Kiel, 31.10.2012)
- Erich Fromm: Die Furcht vor der Freiheit (Christof Goddemeier, Ärzteblatt April 2005)
- STATT „FURCHT VOR DER FREIHEIT“ DAS „HANDWERK DER FREIHEIT“. VON DER CHANCE ZIVILGESELLSCHAFTLICHER LERNPROZESSE (Heiner Keupp, Institut für Praxisforschung und Projektberatung München, 20.01.2003)
- Die neue Furcht vor neuen Freiheiten (K. Peter Fritzsche, human-rights-education.org, veröffentlicht in Funk, R. u.a. (eds): Erich Fromm heute, München 2000, PDF)
- Über den Ursprung von Fanatismus, Faschismus und Terrorismus (Verfasser unbekannt, Artikel erschienen in der Zeitschrift: TW Neurologie Psychiatrie 7/8-1991, S. 377-388, gefunden bei www.wilhelm-griesinger-institut.de)
zuletzt aktualisiert am 17.03.2018

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