Sonntag, 23. November 2014

Ukraine-Berichterstattung: Der Umgang der Medien mit Kritik

Sehr geehrter Herr Pörksen,

in einer „Widerrede aus gegebenem Anlass“ widmeten Sie sich in der ZEIT 44/2014 (und zeitversetzt im Internet) unter dem – von Iljoma Mangolds Rezension zu Akif Pirinçci – plagiierten Titel „Volle Ladung Hass“ dem Phänomen der Medienverdrossenheit. Sie konstatierten eine milieuunabhängige Bewegung des „bösen Blicks“ auf Journalisten wie Medien gleichermaßen. Diese Bewegung sei „weltanschaulich pluralistisch“, „nicht eindeutig rechts oder links“ und formuliere „großformatige Verfalls- und Verwahrlosungsthesen“. Thesen, die Sie für falsch halten „und in ihrer Wucht gefährlich, weil sie das Vertrauen in den Journalismus untergraben und den bösen Blick seltsam starr werden lassen.“

Diese Widerrede hat mich zu einer ebensolchen in Form eines “Offenen Briefes” herausgefordert, entlang geschrieben an Ihren Basisvokabeln „Grenzüberschreitungen“, „Systempresse“, „Gewalt des Publikums“, „Schicksal der Skandalisierung“ und „Vertrauen“; gleichwohl diese natürlich kaum strikt zu trennen sind.

mehr:
- Halbe Ladung Wahrheit (Dr. Thomas Hartung, 10.11.2014)
Zitate:
In unseren Medien, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zumal, häufen sich gattungsübergreifend bestimmte Auffälligkeiten, die Anlass zu ernster Sorge geben, ob diese Medien die ihnen innewohnenden Aufgaben noch wahrnehmen (wollen), wie sie das tun und welche Publikumsperspektive diesem Tun oder Lassen zugrunde liegt.
[…]
Wir werden von Politik und Medien behandelt wie kranke, behinderte, entmündigte Menschen, denen die vorgeblich Gesunden beistehen und ihre Agenda aufoktroyieren wollen… und sich dann irritiert bis wütend wundern, dass viele dieses penetrierende Setting nicht mehr klaglos hinnehmen. Demokratie ist auch das Recht, Macht anzuzweifeln.
[…]
In der Zusammenschau […] muss man zu dem Schluss kommen: ja, wir haben eine Systempresse. Eine Presse, die nicht nur ihre Systemdistanz verloren hat, sondern sich – wie die Banken – inzwischen selbst als systemrelevant definiert und / oder von der Politik so definiert wird; unabhängig aller ethisch-moralischen Skrupel und/oder publizistischen Wahrhaftigheiten.
[…]
Dass sich viele Bürger, zumal als “Regierte”, in diesem System nicht mehr wiederfinden und eigene Wahrheiten suchen, dass diese eigenen, zum Teil jahrzehntelang aufgebauten, realitätsbestätigten und gültigen Wahrheiten nicht mehr greifen (sollen) und zu politischer Verhandlungsmasse werden, dass aus dieser Verhandlungsmasse bisherige Gewissheiten herausgelöst werden und zu wandelbaren Vagheiten mutieren… all das ist einzupreisen, wenn es um das von Ihnen heraufbeschworene „Bild des Niedergangs und der Verwahrlosung“ geht.
[…]
Drei wahllose Beispiele der letzten sieben Tage. I) Die NWZ berichtet unter der Schlagzeile „Russisches Militär fliegt ungewöhnliche Manöver über Europa“ darüber, dass Langstreckenbomber und Kampfjets im internationalem Luftraum über der Nord- und Ostsee, dem Schwarzen Meer und dem Atlantik geflogen seien. Mit dem Bericht, der sich identisch in vielen Zeitungsangeboten findet, darunter auch in Sachsen, wird der Eindruck eines berichtenswerten, unterschwellig bedrohlichen Ereignisses erweckt. Erst nach quälenden 463 Wörtern wird im letzten von neun Absätzen aufgeklärt:
„Die Deutsche Flugsicherung betonte, diese Flüge seien „völlig legal“ gewesen. Die Bomber und Kampfjets hätten sich in internationalem Luftraum bewegt, sagte DFS-Sprecher Axel Raab in einem Interview mit dpa-audio. Die Russen seien auch nicht verpflichtet, ihre Transponder einzuschalten oder einen Flugplan mitzuteilen.“



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