Donnerstag, 14. Juli 2011

Heute vor dreizehn Jahren: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtschreibreform

Am 14. Juli weist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Klage der Rechtsanwälte Thomas Elsner und seiner Frau Gunda Diercks-Elsner mit den Rechtsanwälten Thomas Schüller und Rolf Gröschner zurück. Die Klage der Elsners besagt, die Rechtschreibreform könne nicht ohne parlamentarische Zustimmung durchgesetzt werden, sonst sei sie verfassungswidrig. Die Verfassungsrichter erlauben die Einführung der Rechtschreibreform an Schulen durch Kultusministererlasse. Die Grundrechte von Eltern und Schülern würden nicht verletzt (Link zum Wortlaut des Urteils). Damit können die neuen Regeln am 1. August in Kraft treten.

Einige Wochen später kam die damals achtjährige Josephine Ahrens mit einem Diktat nach Hause, in dem sie das Wort „Zucker“ wie gewohnt mit zwei k getrennt hatte: „Zuk-ker“. Ihre Lehrerin hatte ihr das als falsch angestrichen und ihr eine schlechtere Note gegeben; denn gerade war die Rechtschreibreform in den Schulen eingeführt worden, nach der man „Zu-cker“ trennen sollte. Ihre Eltern regten sich darüber auf, weil die Reform über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden worden war. Sie beließen es nicht dabei, sich bei der Schule zu beschweren, sondern klagten gegen das niedersächsische Kultusministerium. Josephine sollte weiterhin das Recht haben, in der traditionellen Duden-Orthographie unterrichtet zu werden und darin zu schreiben.
Die Eltern reichten Klage beim Verwaltungsgericht Hannover ein. Es ging um die Unterlassung des Unterrichts nach den Regeln der Rechtschreibreform. Das Gericht gab der Familie recht - und damit allen Gegnern der Reform. Daraufhin legte der damalige niedersächsische Kultusminister Rolf Wernstedt Revision ein. Das Verfahren ging somit an das Oberverwaltungsgericht. Dort bekam die Klägerin in einem Eilantrag ebenfalls recht.
Als Folge mußte Wernstedt auf Drängen des damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder die Rechtschreibreform stoppen. Dieses Aussetzen dauerte fast ein Jahr, bis das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied und die Rechtschreibreform für rechtens erklärte. Aber das Hauptsacheverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg war noch nicht abgeschlossen. Dort wurde die Klage aber im Jahre 2001 abgewiesen, weil Karlsruhe schon 1998 entschieden hatte.
Im Jahre 2004 - Josephine war nun 15 Jahre alt und kannte sich außerdem in der Materie gut aus - erhob Familie Ahrens nochmals Klage, dieses Mal mit Josephine als Hauptklägerin. Mittlerweile war deutlich abzusehen, daß die Rechtschreibreform im August 2005 verbindlich werden würde.
Dieser Prozeß vor dem Verwaltungsgericht Hannover wurde verloren, wieder wurde Revision eingelegt. (Quelle: sprache-werne.info)
Beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg obsiegte Josephine Ahrens schließlich. (Quelle: SPIEGEL vom 30.09.2005, Az 13 MC 214/05)

Den folgenden Auszug aus dem SPIEGEL-Artikel darf man genießen:

Das OVG begründet seinen Beschluss damit, dass die allgemein akzeptierte Rechtschreibung auch die richtige sei. Es sei aber "höchst zweifelhaft", ob das auf die neugeregelte Orthografie zutreffe. "Erhebliche Teile im deutschen Volke" lehnten die Reform der Kultusminister ab, und in Presse und Literatur würden "zunehmend" wieder die alten Regeln gelten.

Hart kritisieren die Richter auch das Rechtschreiburteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998: Einerseits gehe Karlsruhe davon aus, eine Schreibweise müsse im Land allgemein üblich sein, um verbindlich sein zu können. Andererseits bestätige das Urteil selbst, dass die neue Schreibweise den Unterricht einer erst noch zu erwartenden Änderung anpasse. Das sei "denkgesetzlich unmöglich".

Dennoch habe das Verfassungsgericht den Kultusministern erlaubt, die Reform an Schulen und Behörden einzuführen.



Übersichtsartikel im SPIEGEL vom 02.01.2006
Ein SPIEGEL-Interview aus dem Jahr 2005 mit Josephine Ahrens

Homepage von Klaus Deterding (ein Germanist gegen die Rechtschreibreform, hier finden sich jede Menge weiterführender Links)
Theodor Icklers Rechtschreibtagebuch bei der Forschungsgruppe Deutsche Sprache
Homepage des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege

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