Samstag, 20. September 2008

Wenn Kliniken auf ihren Kosten sitzen bleiben

Kampagne kommunaler Krankenhäuser gegen die Unterfinanzierung

BERLIN – Neun kommunale Großkrankenhäuser machen mit großen Plakaten auf ihre Finanzmisere aufmerksam.

„Wir wollen mit dieser Kampagne auf die spezifischen Probleme der kommunalen Krankenhäuser aufmerksam machen, die einen besonderen Versorgungsauftrag haben und jeden Patienten aufnehmen“, sagt JOACHIM BOVELET, Vorsitzender der Geschäftsführung der Vivantes Klinika Berlin.

So haben z.B. nur teilweise vergütete Extremkostenfälle beim Klinikum Nürnberg zu einem Fehlbetrag von 7,4 Mio. Euro geführt, erklärt Vorstand Dr. ALFRED ESTELMANN. In allen der 450 Fälle bestehe eine Unterdeckung von mindestens 10.000 Euro.

MANFRED GREINER, Geschäftsführer des Städtischen Klinikums München, kritisiert eine unzureichend vergütete Personalvorhaltung. Nacht für Nacht stünden 133 Ärzte sowie 100 Pflegekräfte und MTA für die Behandlung von Notfallpatienten bereit. „Im Gesetz zur Krankenhausfinanzierung ist nur ein minimaler Abschlag für Krankenhäuser vorgesehen, die keinen Nachtdienst haben, Zuschläge für tatsächlich anfallende Kosten zum Beispiel für Ärzte und Op.-Schwestern in der nächtlichen Notfallversorgung gibt es dagegen nicht“, so Greiner. Die Folge: Das Klinikum bleibt auf den Kosten von 33.000 Euro pro Nacht sitzen.

Das Klinikum Bielefeld meldet ein Defizit von 600.000 Euro für die Weiterbildung von 115 Ärzten. Das DRG-System bilde die Facharztausbildung nicht entsprechend ab, sagt Geschaftsführer Dr. JOHANNES KRAMER. Wegen der unvollständigen Refinanzierung würden sich bundesweit die Häuser zunehmend aus der Weiterbildung zurückziehen.

„Wir brauchen eine schnelle Lösung bezüglich einer nachhaltigen Finanzierung, sonst können die großen Kliniken mit Versorgungsauftrag ihr umfassendes Leistungsangebot rund um die Uhr nicht mehr gewährleisten“, erklären die Klinikchefs. Mit einer einmaligen Finanzspritze ist es für das Bündnis der neun kommunalen Träger nicht getan.

Welche Löcher Extremkostenfälle, die von den Krankenkassen nur zum Teil vergütet werden, in den Budgets der Krankenhäuser hinterlassen, verdentlichen die folgenden Beispiele:

• Eine 66-jährige Frau wird per Rettungsflug ins Klinikum Nürnberg eingeliefert. Diagnose: eitriger Thorax mit Fistel, Sepsis mit septischem Schock sowie Leber- und Nierenversagen bei einer vorbestehenden Herz- und Diabeteserkrankung. 86 Tage Behandlung auf Station kosten 135.000 Euro, erstattet werden 82.000 Euro.

• 74 Tage lang wird im Klinikum Nürnberg ein in der 29. Schwangerschaftswoche geborenes Kind auf der Intensivtherapiestation behandelt: knapp 64.000 Euro Kosten, 44.000 Euro wurden bezahlt.

• Das Klinikum Bielefeld betreut seit 33 Jahren einen Patienten mit Querschnittlähmung, der seit einem Schwimmbadunfall nur noch den Kopf bewegen kann. Pro Jahr bleiben 93.000 Euro an Behandlungskosten unbezahlt.

• Dem Berliner Vivantes-Konzern werden jährlich 700 Extremkostenfälle nicht vollständig bezahlt. Darunter ein 41-jähriger Mann mit einer seltenen Nervenerkrankung, der mit Human-Immunglobulin behandelt wird. Ein Gramm des Medikaments kostet 47 Euro, erstattet werden 23,76 Euro. Das jährliche Defizit für Vivantes summiert sich auf 91.900 Euro.

aus der Medical Tribune Nr. 38 vom 19. September 2008

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